Rund 25% der Bevölkerung in der Schweiz arbeiten auch im Rentenalter. Das zeigt eine neue Studie von Swiss Life. Doch während die Erwerbsbeteiligung bei den über 65-Jährigen hierzulande stagniert, ist sie in den Nachbarländern auf Wachstumskurs. Die Studienautoren Andreas Christen und Nadia Myohl über Trends und Hintergründe des längeren Arbeitens.

Frau Myohl, Herr Christen, was motiviert ältere Menschen in der Schweiz, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten?

Andreas Christen: Im Rahmen unserer Studie haben wir dazu eine repräsentative Umfrage bei der Schweizer Bevölkerung durchgeführt. Dabei haben wir diejenigen, die im Rentenalter noch erwerbstätig sind oder dies in der Vergangenheit waren, auch nach dem «Wieso» gefragt. 70% sagen, dass sie weiterarbeiten, weil sie einfach Freude an ihrer Arbeit haben.

Welche Rolle spielen finanzielle Aspekte?

Andreas Christen: Diese scheinen für eine Erwerbstätigkeit im Rentenalter meist nicht im Vordergrund zu stehen. Das heisst jedoch nicht, dass finanzielle Aspekte überhaupt keine Rolle spielen. So sagen immerhin 35%, dass sie aus finanzieller Notwendigkeit oder wegen einer zu tiefen Rente weitergearbeitet haben oder dies jetzt noch tun.
 

Diagramm Freude an der Arbeit ist der meistgenannte Grund für Erwerbstätigkeit im Rentenalter
Diagramm Freude an der Arbeit ist der meistgenannte Grund für Erwerbstätigkeit im Rentenalter

Nadia Myohl: Interessant ist hier, dass die Schweizer Bevölkerung ein anderes Bild davon hat, was Personen dazu motiviert, im Rentenalter noch erwerbstätig zu sein. 71% unserer Umfrageteilnehmenden vermuteten finanzielle Notwendigkeit als Hauptmotivation für die Erwerbstätigkeit im Rentenalter – nur 49% gaben Freude an der Arbeit als Grund an.

«Wir werden immer älter. Für die Altersvorsorge ist das eine Herausforderung»
 

Portrait eines Mannes

Andreas Christen ist Ökonom und Leiter des Teams Research Vorsorge bei Swiss Life Schweiz. Er forscht seit mehr als zwölf Jahren zu unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Themen. Von ihm bereits erschienen sind die Studien «Länger leben, länger arbeiten?», «Länger leben – länger Arbeit geben?», «Vorsorgerisiko Scheidung» und «Gender Pension Gap».

Wer arbeitet im Rentenalter weiter?

Nadia Myohl: Personen mit höheren Bildungsabschlüssen, Schweizer Herkunft und gutem Gesundheitszustand arbeiten im Rentenalter eher weiter – häufig aber flexibler als zuvor. So ist das Durchschnittspensum im Rentenalter mit 46% klar tiefer, d. h., viele arbeiten in einem Teilzeitpensum. Zudem sind die Selbstständigkeit und die Arbeit auf Abruf weiter verbreitet als bei den jüngeren Kolleginnen und Kollegen.

Andreas Christen: Wenn wir von Arbeit sprechen, denken viele Menschen an die Erwerbs- bzw. Lohnarbeit. Ein wichtiger Aspekt ist aber auch die unbezahlte Arbeit wie ehrenamtliche Tätigkeiten oder die Betreuung von Enkelkindern. Diese nimmt im frühen Rentenalter leicht zu.
 

Illustration einer Hand, die ein Spielkarten-Deck hält
Illustration einer Hand, die ein Spielkarten-Deck hält

Lang lebe die Arbeit?

Zahlen, Fakten und Wünsche rund um die Erwerbstätigkeit im Rentenalter

Warum stagniert die Erwerbsbeteiligung in der Schweiz seit 2015, während sie anderswo, etwa in Deutschland, um fünf Prozentpunkte zugenommen hat?

Nadia Myohl: Die Gründe hierfür haben wir in der vorliegenden Studie nicht genauer untersucht. Sowohl die Arbeitsmärkte als auch die Altersvorsorgesysteme der betrachteten Länder unterscheiden sich; beide Faktoren dürften einen Einfluss auf diese Entwicklung haben. In gewissen OECD-Ländern – wie in Deutschland oder den Niederlanden – wurde das Rentenalter im Beobachtungszeitraum schrittweise erhöht. Zudem hatten verschiedene Länder im frühen Rentenalter bisher eine deutlich tiefere Erwerbsbeteiligung als die Schweiz und haben nun etwas «aufgeholt». Die Erwerbsbeteiligung hat aber auch z. B. in Japan weiter zugenommen, obwohl diese bereits 2010 deutlich höher war als in der Schweiz.

Diagramm Hiesige Erwerbstätigenquote im Rentenalter stagniert
Diagramm Hiesige Erwerbstätigenquote im Rentenalter stagniert
Portrait einer Frau

Dr. Nadia Myohl ist seit 2023 Researcher Vorsorge und Studienautorin bei Swiss Life Schweiz. Von ihr bereits erschienen sind die Studien «Verliebt, verlobt, versorgt?» und «Lang lebe die Arbeit?». Zuvor forschte und publizierte die promovierte Ökonomin an der Universität St. Gallen, u. a. zum Effekt der sogenannten Heiratsstrafe.

Gibt es in der Schweiz regionale Unterschiede bei der Erwerbsbeteiligung ab 65?

Andreas Christen: Wir sehen, dass die Erwerbstätigenquote in der Deutschschweiz bei den 65- bis 70-Jährigen höher ist als in der Westschweiz oder im Tessin. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Muster auch bei den 55- bis 64-Jährigen zu sehen ist. Es gibt jedoch auch auf regionaler Ebene Unterschiede. So ist die Erwerbstätigenquote bei den 65- bis 70-Jährigen in den städtischen Gebieten der Zentral- und der Ostschweiz tendenziell höher als in den Westschweizer Städten.

«Vor allem Frauen zwischen 55 und 64 sind heute viel häufiger erwerbstätig.»
 

Welche Faktoren wirken sich noch auf die Erwerbstätigkeit von Menschen über 65 aus?

Nadia Myohl: Die Unternehmensgrösse und die Erwerbstätigkeit im Rentenalter hängen relativ stark zusammen. So arbeiten 55% der in Kleinstunternehmen (1–9 Mitarbeitende) Erwerbstätigen über das Referenzalter hinaus weiter, aber nur 23% derjenigen, die bei Grossunternehmen (über 250 Mitarbeitende) angestellt sind bzw. waren. Zudem lässt sich fast jede zweite bei einem Grossunternehmen angestellte Person frühpensionieren, aber nur jede fünfte bei den Kleinstunternehmen.

Andreas Christen: Das könnte auch in Zukunft so weitergehen. Wir haben in unserer Umfrage nämlich auch die älteren Erwerbstätigen gefragt, ob sie es sich vorstellen könnten, über das Referenzalter hinaus zu arbeiten. Fast 60% derjenigen, die in Kleinstunternehmen tätig sind, sind (eher) bereit dazu, jedoch nur 36% derjenigen, die in Grossunternehmen arbeiten.

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